Politik ist Spektakel. Wahlkampagnen sind nicht nur Auseinandersetzungen um Inhalte, sondern minutiös geplante Inszenierungen. Die Kandidat*innen treten auf, als wären sie Figuren in einem Drama, ihre Gesten sind kalkuliert, ihre Emotionen präzise dosiert. Doch was bleibt übrig, wenn der Vorhang fällt und das Scheinwerferlicht erlischt? Mark Petersons Fotobuch „Political Theatre“, erschienen im Steidl Verlag, seziert die Inszenierung der amerikanischen Politik und entlarvt sie als das, was sie ist: ein Schauspiel, bei dem Macht, Emotionen und Manipulation eine zentrale Rolle spielen.
Peterson hat über Jahre hinweg die Präsidentschaftskandidat*innen der USA mit seiner Kamera begleitet. Er war vor Ort, als sie auf Bühnen standen, Hände schüttelten, in Kameras lächelten und in Hallen voller jubelnder Anhänger*innen ihre Versprechen in die Menge warfen. Doch anstatt die glattpolierten Bilder nachzuerzählen, die Wahlkampfteams so akribisch in Szene setzen, tut er das Gegenteil: Er zerstört die Fassade.
Seine Bilder sind hart, nah, ungeschönt. Der überbelichtete Blitz bricht mit den gewohnten Sehweisen der politischen Fotografie. In grellem Schwarz-Weiß rückt er uns an die Gesichter der Kandidat*innen heran – zu nah für eine bequeme Betrachtung, zu direkt, um sich in der Illusion der Inszenierung zu verlieren. Das, was normalerweise verborgen bleibt – die Verzerrung der Gesichter in Momenten größter Anspannung, der Schweiß auf den Stirnen, die Härte der Blicke – wird in Petersons Bildern sichtbar.
Doch „Political Theatre“ ist nicht nur eine Demaskierung der Mächtigen. Peterson richtet seine Kamera auch auf die Menschen, die sie umgeben – die jubelnden, betenden, verzückten Anhänger*innen, die bereit sind, ihren Glauben in eine Figur zu projizieren, die sich ihnen in perfekter Choreografie präsentiert. Seine Fotografien werfen Fragen auf: Warum lassen sich Menschen so bereitwillig auf diese Inszenierung ein? Was treibt sie dazu, sich voller Hingabe in den Bann eines Kandidaten oder einer Kandidatin zu begeben? Und wie sehr ist Politik letztlich eine Frage der Inszenierung – und nicht des Inhalts?
Besonders beunruhigend ist dabei die Ästhetik der Bilder. Viele von Petersons Fotografien erinnern an Momente aus der Geschichte, in denen Massen mobilisiert wurden, nicht nur durch Worte, sondern durch Bilder, Gesten und das Gefühl von Zugehörigkeit. Die Überhöhung politischer Figuren ist kein Phänomen der Gegenwart – sie hat eine lange Tradition. Doch in einer Zeit, in der Bilder schneller als je zuvor verbreitet werden, ist sie gefährlicher denn je.
„Political Theatre“ ist kein neutrales Fotobuch. Es ist ein Kommentar, eine Anklage, ein aufklärerisches Werk, das sich mit der Macht der Bilder selbst auseinandersetzt. Es zwingt uns, zweimal hinzusehen, uns zu fragen, ob wir selbst auch schon auf solche Inszenierungen hereingefallen sind. Und es fordert uns auf, Politik nicht nur als Spektakel zu konsumieren, sondern als etwas zu betrachten, das über den Moment der Inszenierung hinaus Wirkung entfaltet.
Mark Peterson hat mit diesem Buch nicht nur eine eindrucksvolle fotografische Arbeit geschaffen, sondern auch einen unverzichtbaren Beitrag zur visuellen Auseinandersetzung mit Macht und Manipulation. Wer sich für Fotografie, Politik und die Mechanismen öffentlicher Inszenierung interessiert, kommt an „Political Theatre“ nicht vorbei – auch wenn das Buch mittlerweile vergriffen ist. Vielleicht ist gerade das eine Metapher für unsere Zeit: Wir konsumieren Bilder, wir staunen über ihre Wirkung – und irgendwann verschwinden sie aus unserem Blickfeld, als hätte es sie nie gegeben.
Erschienen im Steidl Verlag
120 Seiten, 120 Abbildungen
Tritone, fester Einband, 29 x 20.3 cm, Englisch
ISBN 978-3-95829-183-6
1. Auflage 10/2016
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