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Palästinensische Tracht - Foto von Emad EtteIn meinem Tagebuch dokumentiere ich die Entstehung eines Projekts, das mir persönlich am Herzen liegt: Eine visuelle Spurensuche nach der Identität der palästinensischen Diaspora – und meiner eigenen. Hier beginnt alles.

Sonntag, 23. März 2025, Berlin


Seit Wochen und Monaten arbeite ich daran – an meinem Konzept, meinem Projekt. Etwas, das mich die nächsten Jahre meines Lebens begleiten wird.

Es geht um Identität.
Um die kollektive Identität der palästinensischen Diaspora.
Von Palästinenser*innen, die außerhalb Palästinas leben. Aber auch um meine eigene.

Mehr als 13 Millionen Menschen weltweit. Davon mehr als 7 Millionen außerhalb Palästinas.
Mit unterschiedlichen Pässen. Viele staatenlos. Flüchtlinge, die nicht zurückkehren dürfen.
Andere, erfolgreich integriert in neue Heimatländer. Gut gebildet: Ärztinnen, Anwälte, Unternehmer.
Teil der Gesellschaft. Heimat? Zugehörigkeit? Sehnsucht?

Wie wird Identität von Generation zu Generation weitergegeben?
Was formt Erinnerungskultur? Was verbindet uns?
Gibt es einen gemeinsamen Nenner – einen Kern – weltweit, weit weg von der ursprünglichen Heimat?

Ich mache mich auf die Suche.
Heute ist der Startschuss. Für mein Projekt. Und für einen neuen Abschnitt in meinem Leben.

Begonnen hat alles im September 2023 – mit einem Seminar an der Ostkreuzschule für Fotografie.
Eigentlich wollte ich Altersarmut in Berlin fotografieren. Doch meine Dozentin riet mir davon ab. Gut so. Sie sah meine “Testbilder”. Fotos von meinem Vater.

In einer kleinen Einzimmerwohnung in Berlin-Mariendorf. Isoliert. In bescheidenen Verhältnissen.
Während des Gazakrieges. 24/7 live im Fernsehen. Ganz nah dran.
Erschöpft, ohnmächtig. Kaum in der Lage zu malen.
In Sorge um seine Eltern, Geschwister, Kinder – meine Geschwister – in Galiläa, nahe der libanesischen Grenze.
Gott sei Dank nicht in Gaza. Oder Jenin. Oder … oder oder oder.
In großer Sorge um die Zukunft des palästinensischen Volkes.
Was bleibt übrig, wenn es so weitergeht?

Meine Dozentin schlug vor, ein Projekt über ihn zu machen. Er ist Maler. Künstler sind grundsätzlich interessant, sagte sie. Er ist Palästinenser. Hat viel erlebt. Viel gesehen. Viel zu erzählen.
Ich stimmte zu.

Ein Jahr später hängen meine Fotos an einer Wand. Ausgedruckt. Teil einer Gruppenausstellung.
Meine erste Ausstellung.

Ich bin glücklich.
Denn ich habe eine Ausdrucksform gefunden. Für meine Gedanken. Für meine Gefühle. So wie mein Vater sie in seinen Bildern gefunden hat. Deshalb malt er.

Dieses eine Jahr hat etwas mit mir gemacht. Mich verändert.
Seit meiner Jugend bin ich weggelaufen – vor meiner Identität, meinen Wurzeln.
Jetzt hat sie mich eingeholt.
Und mir die Augen geöffnet. Und die Seele.

Unsere Familiengeschichte – exemplarisch für die palästinensische Tragödie, die nicht aufhören will.
Ein Teil meiner DNA.

Ich bin Fotograf geworden, um Geschichten zu erzählen.
Die Geschichten, die zu leise erzählt werden. Vielleicht bald gar nicht mehr.

Ich bin Humanist, so würde ich mich beschreiben. Gerechtigkeit. Gleichheit. Für alle Menschen. Ein Leben in Würde. Und ein Tod in Würde.
So wie es sich jeder für sich und seine Familie wünscht.

Jetzt beginnt die Fortsetzung. Von der Mikroebene eine Ebene höher.
Vom Einzelnen – meinem Vater – zur palästinensischen Diaspora in Deutschland.

Mein Projekt für dieses Jahr.
Im Rahmen meines Studiums am ICP habe ich dafür den perfekten Rahmen gefunden. Besser geht’s nicht.
Ich bin dankbar. Und demütig. Auch für das erhaltene Stipendium.

Und schon heute weiß ich: Nach diesem Jahr wird es nicht zu Ende sein.

Weiter zur nächsten Makroebene:
Die palästinensische Diaspora weltweit.
Was hält sie zusammen? Was hält uns zusammen? Was immer es ist – es muss bewahrt werden. Weitergegeben.
Von Generation zu Generation.
Damit unsere Geschichte existiert.
Damit wir existieren.

Doch ein Schritt nach dem anderen.
Jetzt: Deutschland.
Berlin – meine Geburtsstadt. Die größte palästinensische Diaspora Europas.
Hier geht es weiter.

Heute habe ich die ersten Fotos gemacht. Die traditionelle palästinensische Tracht, die meine Mutter Anfang der 80er Jahre in Jerusalem auf dem Souk gekauft hat.
Nicht, um sie zu tragen, sondern um sie zu bewahren.

Die andere Tracht – ein Geschenk einer Beduinin aus Galiläa –
nachdem meine Mutter, eine Deutsche, meinen Vater, einen Palästinenser, in der historischen Moschee von Akka geheiratet hatte – sie will noch fotografiert werden.

Bilder, die archiviert werden sollen. Müssen. Ein Teil meiner Identität.

Die nächsten Fotos werden Menschen zeigen. Familien. Ihre Erfahrungen, ihre Erinnerungen – und ihre Erinnerungsstücke.
Und ihr Gefühl von Identität.

Diese Momente möchte ich einfangen. Festhalten. Kapseln. Archivieren.

Emad Ette Fotograf

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Danke fürs Lesen. Bis bald im nächsten Eintrag.

Emad Ette

Emad Ette ist freier Fotograf und Videograf aus Berlin. Werde Supporter*in und hilf mit, dass Geschichten sichtbar werden, die gesellschaftlich relevant sind.